Colours: ein Jahr „Queere“ Wohngruppe
Am 04.05.2023 wurde die zweite queere Wohngruppe der evangelischen Jugendhilfe Godesheim in Bonn Bad Godesberg eröffnet. „Colours“ liegt in einer eher ruhigen Wohngegend, trotzdem aber zentral in der Nähe der Godesberger Innenstadt. Die Gruppe bietet Platz für sieben Jugendliche, die sich LGBTQIA+ zugehörig fühlen, also queer, trans oder auf der Suche nach ihrer sexuellen/geschlechtlichen Identität sind und dabei Unterstützungsbedarf haben.
In der ersten Zeit (und auch heute noch) gab und gibt es oft die Frage, ob es denn eine spezielle Gruppe für queere Jugendliche braucht und ob die Implementierung einer speziellen queeren Wohngruppe nicht eher ausschließt, die Jugendlichen darin zu unterstützen, sich selbstständig in der Welt bewegen zu können. Auch ist es ein Missverständnis, dass die Jugendlichen bei uns leben, weil sie queer sind. Beide Punkte können wir auch nach einem Jahr klar beantworten. Nein! Bei uns leben Jugendliche, die auf Grund ihres bisherigen Lebenswegs und ihrer gemachten Erfahrungen Intensivbedarf aufweisen, oft sind sie psychisch sehr instabil. Dass sie queer sind, erschwert ihnen den Alltag noch zusätzlich, da sie häufig Diskriminierung, Homophobie und Gewalt ausgesetzt waren oder auch heute noch sind. Die Gruppe bietet ihnen deshalb in diesen Fällen einen „Safe Space“, so dass sie im geschützten Rahmen ihre Identität entdecken und festigen können und lernen, sich in der Welt zu behaupten und ihren Weg zu gehen.
Das Spannende an unserer Gruppe ist die permanente Auseinandersetzung damit, wie es gelingen kann, das Intensivsetting mit (queer)sensibler Arbeit zu verbinden. Es geht darum, klare und verlässliche Strukturen zu bieten, gleichzeitig aber auch die Bedürfnisse jeder einzelnen Person zu sehen und ernst zu nehmen. Wir versuchen die Jugendlichen in ihrer Partizipation zu stärken und ihnen gleichzeitig aufzuzeigen, dass es Situationen im Leben gibt, wo man sich an Regeln halten muss. Es gibt einige Dinge, wie man eine Wohngruppe mit einfachen Mitteln (queer)sensibel gestalten kann. Wir haben eine „Pronomentafel“ im Flur hängen, an die unsere Jugendlichen Magnete mit ihren jeweiligen Pronomen befestigen und jederzeit ändern können, so dass sie für alle transparent und sichtbar sind. Die Bäder sind nicht nach Geschlechtern, sondern nach Etagen sortiert. In allen Bädern sind sämtliche Hygieneartikel für alle frei zugänglich. In der Küche hängt eine Liste mit „Trigger-Themen“. Diese sogenannten „Trigger-Themen“ werden bei Essenssituationen auf gar keinen Fall und in Gemeinschaftsräumen nur nach Absprache mit allen Anwesenden angesprochen und können bei Bedarf jederzeit ausgesetzt werden.
Wir begleiten die Jugendlichen in allen Lebensbereichen, in denen sie Unterstützung benötigen. Das können Termine sein, die auf Grund von „Misgendern“ oder dem Nennen des „Deadnames“ (der frühere Name) für die Jugendlichen sehr belastend sein können. Wir unterstützten bei Gesprächen beispielsweise mit Schulen oder Praktikumsstellen bei Diskriminierung und Mobbing. Wir begleiten und helfen aber auch bei positiv belegten Themen, wie beispielsweise einer beginnenden Transition, die von den Jugendlichen viel abfordert. Zu unseren Aufgaben gehören auch das Stärken von Selbstbewusstsein und die Durchführung sexualpädagogischer Gespräche. Natürlich bleiben Krisen, die unterschiedlich ausagiert werden, trotzdem nicht aus. In diesem Fall stehen sowohl die Begleitung der Krise selbst als auch die Begleitung der anderen Jugendlichen im Haus (spätestens, wenn die Krise sich beruhigt hat) gleichermaßen im Fokus.
Im Jugendlichen-Team wurden die Jugendlichen gefragt, wie sie „Colours“ beschreiben würden. Ihre Antwort: „Queer, verrückt, neurodivergent, zuhause“.