Was macht eigentlich ein Job-Coach?
Es ist immer schwer zu erklären, was wir bei „Jobcoach“ der Ev. Jugendhilfe Godesheim alles machen. Die erste Vermutung ist fast immer: „da schreibt man ja nur Bewerbungen – dafür soll ich studiert haben?“ Aber ein Jobcoach macht viel mehr!
Ziel des Jobcoach-Programms ist die Sicherung und Verbesserung der Ausbildungsfähigkeit solcher Schüler*innen, für die aufgrund ihrer bisherigen Schullaufbahn zu erwarten ist, dass sie die Herausforderungen im Übergang von der Schule in den Beruf nur mit Unterstützung bewältigen können. Häufig ist kein oder nur ein schwacher Schulabschluss zu erwarten. Entsprechend gering sind die Chancen dieser Schüler*innen, auf dem Ausbildungsmarkt einen Ausbildungsplatz oder eine passgenaue Anschlussperspektive zu erhalten.
Durch eine intensive Förderung und sozialpädagogische Begleitung im Sinne eines ganzheitlichen Übergangsmanagements sollen die Aussichten für einen unmittelbaren Zugang zum ersten Arbeitsmarkt verbessert oder zumindest eine lückenlose Teilnahme an einer Anschlussmaßnahme (bspw. durch die Bewerbung für einen Platz auf einer weiterführenden Schule) gesichert werden.
Alles verstanden? Der Einfachheit halber hier ein Fallbeispiel, das hoffentlich einen guten Eindruck in unsere Arbeit gibt:
Fallbeispiel Bahar (Name geändert): „Der Weg zum höheren Schulabschluss“
Bahar ist syrischer Herkunft und flüchtete im Jahr 2015 mit der Familie nach Deutschland. Bahar besuchte zunächst für ein Jahr eine Grundschule in Hamburg, wechselte mit der Verteilung nach Bonn in die 2. Klasse einer örtlichen Grundschule und anschließend auf eine Realschule. Bahar hat drei jüngere Brüder, davon zwei im Grundschulalter. Bahar muss zu Hause viel helfen, bekommt selbst wenig Unterstützung. Sie organisiert sich weitestgehend selbstständig. Auch zu Elternsprechtagen erscheint sie allein.
Bahar besucht die 9. Klasse, als die Teilnahme am Jobcoach-Programm beginnt.
Sie fragt selbst regelmäßig nach Unterstützung, überlegt sich viele Fragen, die in einem Heft notiert zum nächsten Treffen mitgebracht werden. Die Fragen beziehen sich zunächst auf die Möglichkeiten des deutschen Bildungssystems: „Was macht man in einer Ausbildung und wie lange dauert sie? Kostet ein Studium Geld? Wie lange dauert es? Wie kann ich Bewerbungen schreiben?“. Bahars Berufswunsch liegt schon zu Beginn eindeutig im sozialen Bereich und schwankt zwischen „Erzieher*in“ und „Lehrer*in“. Hier werden die verschiedenen Zugangsmöglichkeiten und auch -anforderungen erklärt.
Da Bahars „Fragedurst“ sehr viel Zeit in Anspruch nimmt und sie zu viel Unterricht zu verpassen droht, werden die Termine schon frühzeitig in den Nachmittagsbereich und in die Jobcoach-Büroräume verlegt. Hier zeigt sich Bahar äußerst zuverlässig: Termine, die aus familiären Verpflichtungen ausfallen müssen, werden abgesagt und verlegt. Bahar nimmt an dem programminternen Workshop „die Bühne“ teil, in dem sie eigene Stärken erarbeitet und Tipps zur Selbstpräsentation in Vorstellungsgesprächen bekommt.
Bahars erstes Praktikum in der 9. Klasse in einer Kindertagesstätte bestätigt den Berufswunsch. Bei der Entwicklungskonferenz wird von den Lehrkräften bestätigt, dass sie sehr sozial, fleißig, höflich, hilfsbereit und teamfähig ist. Die anvisierten Berufe sind passend, allerdings reichen bisher die Schulleistungen nicht aus. So hat Bahar in Mathematik ein „mangelhaft“, in Deutsch „nur“ ein ausreichend, steht insgesamt in allen Fächern zwischen drei und vier.
Zu Beginn der 10. Klasse gelingt es, für Bahar eine Nachhilfe durch eine Ehrenamtlerin in den Jobcoach-Räumlichkeiten zu installieren. In erster Linie erfährt Bahar hier Unterstützung in Mathematik, aber durch die Fähigkeiten der Ehrenamtlerin wird „nebenbei“ auch in Deutsch und Physik geholfen. Hier zeigt Bahar sich ebenfalls ausgesprochen fleißig, nimmt die Nachhilfe zusätzlich zu den Präsenzterminen auch online wahr. Hierfür wird Bahar ein Tablet zur Verfügung gestellt, das gespendet wurde. Innerhalb eines Jahres verbessert sie die Note in Mathematik von „mangelhaft“ auf ein „gut“. Gleiches zeigt sich in Physik. In Deutsch erreicht sie ein befriedigend. Die nötige Qualifikation für die Oberstufe steht in Aussicht, sodass die Wunschperspektive nicht mehr so fern erscheint wie noch vor einem Jahr.
Für Bahar ist eindeutig klar, dass weiter die Schule besucht werden soll. Lediglich zwischen den beiden Wunschberufen kann sie sich noch nicht entscheiden. In vielen Terminen werden Bahar die verschiedenen Wege an den Gesamtschulen und an den Berufskollegs erklärt. Auch das Studium „Soziale Arbeit“ wird thematisiert. So zeigt sich: Es bedarf vieler Stunden intensiver Recherchearbeit und des Austauschs, um Bahar die verschiedenen Möglichkeiten zu erklären und eine individuelle als auch bedarfsgerechte Auswahl zu treffen. Bahar nutzt die Tage der offenen Tür an der Integrierten Gesamtschule Beuel und auch am Robert-Wetzlar-Berufskolleg, um sich vor Ort eigenständig zu informieren.
Bahar entscheidet sich schließlich für eine Anmeldung in der zweijährigen Fachoberschule „Gesundheit und Soziales“ am Robert-Wetzlar Berufskolleg. Ihr gefällt, dass es möglich ist, hier mit einem hohen Praxisanteil in zwei Jahren zunächst die Fachhochschulreife erreichen zu können. Das berufsspezifische Fächerangebote überzeugt und stellt für Bahar einen Vorteil zum allgemeineren Angebot einer Gesamtschule dar. Um sich dennoch beide Optionen offen zu halten, bewirbt sie sich parallel an drei Gesamtschulen. Nach Abschluss des Bewerbungsverfahrens bekommt Bahar eine Zusage für das Robert-Wetzlar-Berufskolleg und auch für ein Gesamtschule, entscheidet sich aber aus den o.g. Gründen für das Berufskolleg.
Warum das Fallbeispiel „Bahar“
Das Fallbeispiel von Bahar wurde ausgewählt, weil Bahar wirklich alle Angebote von Jobcoach genutzt und sich dadurch enorm entwickelt hat. Die enge 1:1-Betreuung, Nachhilfe, Workshop, technische Ausstattung und natürlich die Eigeninitiative und Ressourcen von Bahar haben geholfen, schulische Leistungen zu verbessern, das Bildungssystem kennenzulernen und dessen Möglichkeiten zu nutzen.
Das Gefühl „angenommen zu werden“ – mit allen Schwierigkeiten – hat Bahar im Selbstvertrauen gestärkt. Erst im Laufe der zunehmenden Vertrautheit erzählt Bahar kleine Erlebnisse aus der Zeit in Syrien oder auf der Flucht, die nachhaltig prägten. Durch diese Augenblicke bekommen auch wir Fachkräfte einmal einen Eindruck davon, was so ein junger Mensch verkraften muss. Gleichzeitig soll/muss aber bereits das „neue Leben“ fernab der eigenen Wurzeln beginnen und funktionieren.
In unseren Augen bedarf es viel mehr Zeit und intensiverer Unterstützung, um geflüchteten Menschen eine Verarbeitung ihrer Erlebnisse und die Entwicklung einer guten und für sie passenden Perspektive zu ermöglichen. Bahars Werdegang ist hierfür der beste Beweis!