Das ist nun also die Jahreslosung für 2022!
Das ist erst einmal ein sehr schöner, Hoffnung schaffender Satz!
Ich weiß nicht, wie es Ihnen ergangen ist als sie ihn zum ersten Mal in diesem Jahr gelesen haben! Aber in mir rührte sich etwas…etwas Ungutes! Ein Impuls, ein Gedanke, ein Gefühl! Ich habe nachdenken müssen, um es zu greifen…und ich denke am ehesten ist es mit dem Wort „Scham“ zu umschreiben.
Ich schäme mich, denn dieser kurze Satz zeigt mir, dass wir es nicht hinbekommen Jesus zu folgen, dass wir uns vielleicht zu wenig Mühe geben und, dass wir unseren christlichen Glauben oft nicht ernst genug nehmen.
Und vielleicht ist dieses Durcheinander von Gefühlen und Gedanken ja auch nicht richtig oder gerechtfertigt, denn in der Jahreslosung steht ja ganz klar: Jesus sagt… also sind wir ja gar nicht so gefragt! Schließlich sind wir nicht Jesus, sondern nur schwache, Fehler machende, kleine Menschen. Aber das überzeugt mich leider nicht!
In mir bleibt dieses ungute Gefühl des ertappten Versagens.
Und ja, als allererstes fallen mir die Flüchtlinge ein und unser europäisches Gebaren gegenüber den Menschen, die Schutz brauchen und von uns das genaue Gegenteil bekommen. Die Diskussionen, ob man Menschen im Mittelmeer ertrinken lassen soll oder retten darf, die Gerichtsverhandlungen gegen die Menschen, die Ertrinkende aus dem Wasser ziehen und dann selbst mit Strafen rechnen müssen… Die Zäune und Soldaten, die dafür sorgen, dass Menschen, sogar kleine Kinder frieren und hungern!
WER ZU MIR KOMMT, DEN WERDE ICH NICHT ABWEISEN!
Das passt nicht! Das irritiert und tut weh. Aber das liegt zumindest nicht direkt in unserer Hand, das entscheiden Andere, und wir können uns dazu unsere Meinung bilden, demonstrieren, anders wählen, aber im Großen und Ganzen stehen wir hilflos davor. Allerdings fürchte ich, dass es auch in unserem kleinen, direkten Alltag häufig nicht passt; dass wir oft verschlossen sind gegenüber Menschen, die zu uns kommen. Wir weisen ab…Verwandte, die nerven; Kinder, die gerade stören; Freunde und Freundinnen, die aus unserer Sicht gerade nicht gut funktionieren; wir lehnen wichtige Arbeitsaufgaben ab, weil wir uns nicht zusätzlich belasten wollen. Wir leben in dem Gefühl, dass wir immerzu zu kurz kommen und schotten uns ab gegen alles, was auf den ersten Blick zu aufwendig, zu wenig ergiebig für uns selbst ist.
Und natürlich ist es gut, wenn wir auf uns selbst Acht geben! Es gibt ja auch überall die Tendenzen, Menschen und Ressourcen zu verheizen! Auf dem Arbeitsmarkt wird viel zu selten geschaut, wie man den Mitarbeitenden das Leben erleichtern kann, so dass sie gestärkt und gern ihre Aufgaben erfüllen; in Familien bleibt oft genug eine Person auf der Strecke, die sich um alles kümmert, kaum Anerkennung dafür findet und nie grünes Licht dafür bekommt, sich selbst zu verwirklichen. Wir müssen aufpassen, weil die Anderen es nicht tun!
Aber das soziale Miteinander ist ein kompliziertes Netz. Es stimmt eben nicht, dass wenn jeder an sich selbst denkt, an alle gedacht ist.
Wir brauchen die anderen! Auch wenn sie mal stören, auch wenn es auf den ersten Blick nicht ersichtlich ist, was wir davon haben! Wir brauchen es, wertvoll und offen für andere zu sein. Es ist toll und wohltuend abends auf der Couch zu sitzen und zu wissen, dass ich Menschen, die zu mir gekommen sind, nicht abgewiesen habe. Dass es Anderen vielleicht ein bisschen besser geht, weil ich mich eingegeben habe, weil ich meine Fähigkeiten für sie eingesetzt habe! Auch wenn es vielleicht anstrengend war und ich in dem Augenblick gar keine Lust hatte, ist es wertvoll, wenn ich sehe, dass mein Tag sinnvoll war! Das bringt andere, aber auch mich selbst weiter!
Wer zu mir kommt, den werde ich nicht abweisen. Jesus hat das gesagt und das hat natürlich noch eine ganz andere Dimension als das, was wir im Alltag leisten können. Dieser Satz folgt im Johannesevangelium gleich nach der Speisung der 5000. Viele, viele Menschen wollten hören, was Jesus zu sagen hat. Die Versorgung aller schien unmöglich, ein Wunder ist geschehen und alle Bedürfnisse wurden gestillt! Jesus weist keinen ab. Wir können uns so wie wir sind an ihn wenden. Wir werden nicht nach unseren Abschlüssen, unseren Konfessionen, unseren Leistungen, unseren Sünden und guten Taten, unserem Aussehen, unserem Lifestyle, unserer Karriere, unserer Herkunft, unseres Geschlechts befragt und sortiert. Wir werden angenommen. Das wirklich zu begreifen und ab und an wirklich zu spüren ist wahrscheinlich selten, aber die Vorstellung und die Hoffnung darauf sind Kraft spendend und motivierend. Wir können dieses Gefühl des Angenommenseins spürbar machen jeden Tag immer wieder in kleinen und großen Taten.
Das möchte ich mitnehmen ins neue Jahr.
Passen Sie gut auf sich UND andere auf!
Ihre Iris Gronbach