Es ist was los in Deutschland

Kriege und Krisen bewegen so viele Menschen, wie schon lange nicht mehr, und das im wahrsten Sinne des Wortes! Und die Menschen in den Zielländern gehen sehr unterschiedlich damit um. Die einen versuchen zu helfen, die anderen fühlen sich bedroht. Es gibt Leute, die schaffen zurzeit unermesslich viel Gutes und andere wiederum können ihren Ängsten und Widerständen nur durch Gewalt und Zerstörung Raum geben. Alle Seiten sind emotional und rational mit der Flüchtlingsthematik beschäftigt, und beides ist nicht immer hilfreich. Denn niemand weiß, wie das alles werden wird, welche Chancen und Gefahren sich durchsetzen werden, wie diese Situation unser Land, unser Leben verändert. Vielleicht hilft es ja, wenn man mal ganz anders an die Sache herangeht!? Hier eine kleine Geschichte zum Nachdenken:

Ein besonderes Geschenk

Eine weise Frau reiste durch die Berge. Eines Tages fand sie dort in einem Bachlauf einen sehr, sehr wertvollen Stein.

Am nächsten Tag traf sie einen anderen Wanderer. Der Mann war hungrig und die weise Frau öffnete ihre Tasche, um mit ihm ihr Brot zu teilen. Der Wanderer sah den wundervollen Stein in der Tasche.

„Gib mir den Stein“ sagte er.

Die Frau reichte dem Mann ohne jedes Zögern den Stein. Der machte sich schnell davon, denn ihm war klar, dass der Stein sehr, sehr wertvoll war und dass er nun den Rest seines Lebens sorgenfrei verbringen konnte.

Einige Tage später kam der Mann jedoch zurück zu der weisen Frau und gab ihr den Stein wieder.

„Ich habe nachgedacht.“ sagte er. „Ich weiß, wie wertvoll dieser Stein ist. Aber ich gebe ihn dir zurück. Das tue ich in der Hoffnung, dass du mir etwas viel Wertvolleres dafür schenken kannst. Bitte gib mir etwas davon, was es dir möglich machte, mir diesen Stein zu schenken.“

Als ich diese Geschichte das erste Mal las, hatte ich den Eindruck, der Mann hätte die weise Frau bedroht, um den Stein von ihr zu erhalten! Das finde ich interessant, denn die Situation rund um die Flüchtlinge empfinden auch viele als Bedrohung. Da sind viele fremde Menschen an einem Platz und schon wird es als Bedrohung aufgefasst. Dabei sitzen die Menschen einfach friedlich vor der ihnen zugewiesenen Wohneinheit und reden miteinander. Aber viele bekommen ein komisches Gefühl.

Die weise Frau in unserer kleinen Geschichte scheint sich nicht bedroht zu fühlen oder Angst zu haben, sie reicht dem Mann den wertvollen Stein ohne zu zögern. Es war sicher nicht ihr Plan, dem Mann den Stein zu schenken, sie wollte mit ihm ihr Essen teilen, weil er Hunger hatte. Als er mehr verlangte, gab sie ihm mehr.

Und das hat etwas mit dem Mann gemacht. Er hatte mit dem Stein die Möglichkeit auf ein sorgenfreies Leben, er hatte den Stein nicht gestohlen und war damit sogar auf der sicheren Seite, was das Gesetz angeht, aber er hat ihn wieder zurückgebracht. Er hat nach der Aufregung und der Freude über diesen unverhofften Reichtum nachgedacht und ich kann mir vorstellen, es stellte sich etwas wie Verwirrung ein! Verwirrung über die Haltung der Frau und wie das nun mal so ist mit der Verwirrung, versuchte er sie zu ordnen, dafür hat er offenbar mehrere Tage gebraucht. Aber dann kam er zu dem Schluss, dass noch viel wertvoller als der Stein diese Haltung der weisen Frau war, einfach zu geben, wonach jemand anderer verlangt. Das war so besonders für ihn, dass er das auch können wollte. Und also ging er zu der Frau zurück, gab ihr den Stein wider und wollte von ihr lernen.

Wir wissen nicht, wie die Geschichte weitergeht. Vielleicht ist er ihr Schüler geworden und die beiden waren dann gemeinsam auf Wanderschaft und haben immer mehr Menschen aufgenommen in ihrer neu entstandenen Gemeinschaft. Vielleicht hat die Frau ihn weggeschickt, weil sie keine Lust auf ihn hatte. Vielleicht haben sie auch geredet und die Frau hat ihm begreiflich gemacht, dass er mit seinem Zurückkommen doch schon das Wesentliche gelernt hatte. Vielleicht hat der Mann es sich auch noch einmal anders überlegt und ist dann doch mit dem Stein seines Weges gezogen. Alles ist möglich…

Die Frau wird in dieser Geschichte weise genannt. Aber viele würden sie eher als dumm betiteln. Was hätte sie nicht alles Gute anstellen können mit diesem wertvollen Stein, wenn sie ihn schon nicht selbst behalten möchte!!?? Aber so etwas Wertvolles einfach an jemand Dahergelaufenen abzugeben…das ist doch vollkommen idiotisch! Und ganz bestimmt hat sie nicht damit gerechnet, dass der Mann wieder zurückkommt, sondern hat da einfach Glück gehabt! Das hätte auch ganz anders ausgehen können!

Ich habe diese Geschichte ausgewählt, weil sie mich nachdenken lässt über Geben und Nehmen, über Festhalten und Loslassen. Und weil sie mir Hoffnung gibt, dass es dann doch viele Menschen gibt, die nicht immer nur an ihr eigenes Wohlbefinden, ihr eigenes Glück und ihren eigenen Besitz denken, sondern die sich öffnen für das, was sie geben können, aber auch das, was sie annehmen können.

Einen schönen November mit vielen Möglichkeiten des Gebens und Empfangens wünscht Ihnen Iris Gronbach