Bei dem letzten Pfarrkonvent wurde auf einen gesprochenen Text aufmerksam gemacht, in dem eine junge Poetry-Slammerin sich zu ihren 95 Thesen Gedanken gemacht hat. Ein interessanter Text war das, den Sie unter folgender Adresse einmal selbst hören können: höre hier

Hängen geblieben bin ich dann zwar auch an dem „nicht in meinem Namen, nicht in Deinem Namen“ der jungen Dichterin, aber noch mehr an dem von ihr zum Teil zitierten Gedicht von Dorothee Sölle:

 

Ich dein baum

Nicht du sollst meine probleme lösen
sondern ich deine gott der asylanten
nicht du sollst die hungrigen satt machen
sondern ich soll deine kinder behüten
vor dem terror der banken und militärs
nicht du sollst den flüchtlingen raum geben
sondern ich soll dich aufnehmen
schlecht versteckter gott der elenden

Du hast mich geträumt gott
wie ich den aufrechten gang übe
und niederknien lerne
schöner als ich jetzt bin
glücklicher als ich mich traue
freier als bei uns erlaubt

Hör nicht auf mich zu träumen gott
ich will nicht aufhören mich zu erinnern
dass ich dein baum bin
gepflanzt an den wasserbächen
des lebens.

Dieses Gedicht erinnert uns an… uns. An das, was wir sind, das, was wir sein könnten und das, was wir sein sollten. Und obwohl da ganz viel Kritik drin steckt, ist da auch ganz viel positive Motivation und Glück.

Was für eine schöne Vorstellung, dass wir ein Traum Gottes waren. Welche Erwartungen hatte ER an uns? Hatte ER sich gefreut als der Traum wahr wurde? Und wie oft ist ER nun schon enttäuscht worden? Oder wusste ER, was kommt? Wusste ER, dass wir nicht so schön, so glücklich, so frei werden würden, wie ER es für uns erträumt hatte? Und wenn ER es wusste, hat ER sich dann bewusst entschieden uns wahr werden zu lassen und wenn ja, warum?

Nach meinem letzten Gottesdienst sprach ich mit einem älteren Herrn, der mir von seinem 12-jährigen Enkel erzählte. Dieser war vor kurzem zu ihm gekommen und habe fast schon mit ihm geschimpft. Er solle mit „seinem Gott“ gar nicht erst anfangen, ob er denn keine Nachrichten schaue!? Was so alles in der Welt passiert! Und da soll es einen Gott geben?? Kann ja gar nicht sein!

Wer kennt dieses Gefühl nicht!? Diese Hilflosigkeit angesichts der schrecklichen Dinge, mit denen wir konfrontiert werden. Bei manchen Anlässen bleibt einem manchmal das Fürbittengebet im Hals stecken und Wut breitet sich aus! Wut auf einen Gott, der allmächtig sein soll, aber das Schlimmste vom Schlimmen wahr werden lässt! Wut auf einen Gott, der alles andere als gerecht oder gar liebevoll rüberkommt, den wir aber lieben und ehren sollen! Warum greift er nicht ein? Oder tut er es? Und wäre es dann nicht noch schlimmer? „Dein Wille geschehe“, das beten die Christen rund um den Globus! Und dann passieren Kriege, Hungersnöte, Völkermorde, Krankheiten, Unfälle, Verbrechen oder einfach nur der Alltag, der die Menschen fertig macht! Dein Wille geschehe…

Dorothee Sölle lässt uns mit einem anderen Blick darauf schauen. Nicht Gott, sondern wir sind gefragt! Wir wissen es doch besser als wir es tun! Wir tragen doch die Kraft in uns, uns zu entscheiden, zu wählen, uns einzusetzen, aufzustehen und auch zu kämpfen: Für Gerechtigkeit, für Frieden, für ein gutes Leben Aller!

Es geht nicht darum besonders hübsch zu beten oder besonders standhaft im Glauben zu sein, sondern das auch zu leben. Wir sind die Werkzeuge Gottes, wir sind diejenigen, die seinen Willen auf Erden wahr machen oder zerstören können. Und das gelingt uns nicht immer, manchmal kann man den Eindruck bekommen, das gelingt gar nicht. Aber das stimmt nicht, wir neigen nur dazu, immer zu den negativen Dingen zu schauen und die positiven nicht wirklich wahr zu nehmen. Überall auf der Welt nehmen sich Menschen anderer Menschen an, setzen sie sich für das, was ihnen wichtig ist ein, überraschen sie Andere, indem sie etwas völlig Selbstloses tun.

Wir sind Gottes Bäume, gepflanzt an den Wasserbächen des Lebens, daran wollte uns Dorothee Sölle erinnern mit ihrem Gedicht. Das Leben ist ein Geschenk und wir können auch ein Geschenk sein unseren Nächsten und damit sind auch Menschen gemeint, die ganz weit weg sind oder die wir gar nicht kennen!

Gott, hör nicht auf, uns besser zu träumen als wir sind, denn das gibt uns Hoffnung für uns und Andere.

Eine traumhaft schöne Zeit wünscht Ihnen,

Ihre Iris Gronbach